Nutzergesteuerte Evaluation im Sozialwerk Main Taunus – Artikel in der Treffpunkte-Ausgabe 2/2017

Entsprechen die Angebote dem Bedarf der Klienten? Um die Zufriedenheit der Klienten herauszufinden, geht das Sozialwerk Main Taunus (SMT) einen ungewöhnlichen Weg

 

Von Maria Franz und Andrea Baumann

 

Evaluation bedeutet das Überprüfen von Vorgehensweisen und Entscheidungen auf deren Angemessenheit und ist ein unerlässlicher Bestandteil von pädagogischer Professionalität.

Im Bereich der sozialpädagogischen Arbeit überprüfen wir unser professionelles Handeln im Gespräch mit Kollegen, in Supervisionen, in Form von Berichten und Hilfeplänen oder wenn wir am Ende des Tages einfach mal in uns gehen und darüber nachdenken, was wir da eigentlich tun und ob es angemessen ist. Wir fragen uns selbst, unsere Kollegen, unsere Teamleiter oder Supervisor. Doch wie oft fragen wir unsere Klienten? Und wenn wir sie fragen, wie ehrlich können sie dann wirklich antworten? Wird die Frage im Praxisalltag gestellt, so stehen wir dem Klienten kaum neutral gegenüber. Wir sind Betreuer, Berater oder Gruppenleiter. Wie ehrlich kann man seine Meinung kundtun, wenn man der Person gegenübersteht, auf deren Hilfe und Wohlwollen man möglicherweise angewiesen ist? Wahrscheinlich ist das Feedback häufiger gefärbt von Befürchtungen auf der einen Seite und Erwartungen auf der anderen als von unverblümter Ehrlichkeit. Die Folge davon ist, dass Pädagogen sich mit besten Absichten im stillen Kämmerlein überlegen, was die Bedürfnisse ihrer Klienten sein könnten und gestalten entsprechend ihrer Mutmaßungen ihre Angebote aus. Wenn niemand ein Angebot nutzt, ist es offensichtlich am Bedarf vorbeigeplant worden. Doch woher wissen wir, ob nicht die Angebote, die genutzt werden, vielleicht dennoch Verbesserungsbedarf haben? Um der Frage auf die Spur zu kommen beschloss das SMT im Jahr 2015 einen ungewöhnlichen Weg zu gehen.

Die Geschäftsführung wollte ein möglichst „ungefiltertes“ Bild darüber bekommen, inwiefern die vorhandenen Angebote im SMT dem Bedarf der Klienten entsprechen und wie groß die Zufriedenheit mit der geleisteten Arbeit ist. Ein Perspektivwechsel musste her und dafür eine Befragung mit möglichst wenig Einwirkung von außen. Die gesamte Erhebung sollte durch die Klienten selbst erfolgen. Es wurde davon ausgegangen, dass durch die eigene Betroffenheit der Interviewer „passendere“ Fragen gestellt werden würden, auf die wiederum offener geantwortet werden könnte. Hinzu kam der grundsätzliche Wunsch, die Selbstbestimmung und Selbstorganisation der Klienten zu fördern. Das Projekt „Nutzergesteuerte Evaluation“ im SMT war geboren.

 

Wie gestaltete sich das Projekt in der Praxis?

 

Mit dem Projekt haben wir im Verein absolutes Neuland betreten. Da es bislang keine Erfahrungswerte mit nutzergesteuerter Evaluation gab, mussten wir uns den Prozess Schritt für Schritt erarbeiten. Hierfür war zunächst eine Menge Vorarbeit nötig:

Wir mussten ein vorläufiges Konzept mit einem groben zeitlichen Ablaufplan entwickeln und das Projekt im ganzen Verein sowohl bei den Klienten als auch bei den Mitarbeitern bekannt machen. Wir entwickelten zunächst ein eigenständiges Logo: das „E-Team“, um einen Wiedererkennungseffekt zu haben, der sich in den Köpfen aller verankern konnte. Die Suche nach Klienten, die sich am Projekt beteiligten wollten, lief erstaunlich unkompliziert. Schnell hatten wir eine Gruppe Interessierter zusammengestellt, die mit uns das „E-Team“ bildeten. Die Gruppe hatte zunächst die Aufgabe, eigenständig einen Interviewleitfaden zu entwickeln. Uns als Mentorinnen kam lediglich die Funktion zu, die Gruppenprozesse zu begleiten, beratend zu unterstützen und die Ergebnisse zu protokollieren. In die inhaltliche Ausgestaltung des Fragebogens griffen wir nicht ein. Für uns war die Herausforderung, die einzelnen Teilnehmer mit ihren unterschiedlichen Hintergründen zu einer Gruppe zu vereinen, die produktiv arbeiten konnte. Umso schöner war es für uns zu sehen, wie im Laufe des Prozesses die Gruppe immer mehr zusammenwuchs und sich stützte und motivierte.

Nach der Erarbeitung des Interviewleitfadens ging es an das Führen der Interviews. Erfreulicherweise haben sich aus sämtlichen Bereichen des SMT Klienten gefunden, die sich interviewen lassen wollten. Zuvor wurde kräftig die Werbetrommel gerührt.

Das Führen von Interviews wurde im Vorfeld ausgiebig geübt, da bei allen Teilnehmern des „E-Teams“ diesbezüglich große Unsicherheiten herrschten. Es wurde sich darauf geeinigt, die Interviews zu zweit zu führen. Dies gab mehr Sicherheit und die Aufgaben während des Interviews konnten auf zwei Schultern verteilt werden. Nichtsdestotrotz hatten wir Mentorinnen intensive psychosoziale Begleitung zu leisten, da manches Interview belastende Aspekte für einzelne Interviewer hervorrief. Die Organisation der Interviews verlangte uns ebenfalls einiges ab. Aber im Endeffekt ist alles gut gelaufen. Die Daten wurden von den Interviewern in zuvor eigens erstellte Eingabemasken im PC übertragen und nun ging es an die Auswertung. Es wurde fleißig ausgezählt, gerechnet, Daten verknüpft, Zusammenhänge gezogen und diskutiert. Wir alle waren sehr gespannt, was die Erhebung zu Tage bringen würde. Die Ergebnisse in diesem Rahmen anzuführen, würde hier leider zu weit führen, aber ein Grundaspekt, der sich durch den Großteil der geführten Interviews zog, soll hier nicht unerwähnt bleiben:

Neben vielfachen interessanten Verbesserungsvorschlägen zeigte sich, dass es den Klienten sehr wichtig ist, eine Beständigkeit und Sicherheit in der Betreuung und in den Angeboten zu haben.

Nach Abschluss der Auswertung wollte das E-Team die gewonnenen Ergebnisse natürlich allen Klienten zugänglich machen. Hierfür fanden zwei Präsentationsveranstaltungen statt. Die Resonanz war erfreulich groß. Die Teilnehmer des „E-Teams“ führten die Präsentationen eigenständig durch. Die positiven Rückmeldungen hierfür waren überwältigend und stellten eine große Anerkennung für die Arbeit und Mühe dar, die alle in dieses Projekt gesteckt haben. Im Anschluss an die Präsentationen wurden die Ergebnisse von uns Mentorinnen noch für die einzelnen Standorte des SMT aufbereitet und den entsprechenden Kollegen und Kolleginnen vorgestellt.

Das E-Team war für das gesamte Projekt über einen Zeitraum von einem Jahr beschäftigt gewesen. Die Verlässlichkeit und das Durchhaltevermögen der Gruppe haben uns enorm beeindruckt und waren für uns der Lohn für die Zeit und Mühe, die wir in das Projekt investiert haben.

 

Was hat es dem SMT gebracht?

 

Der Aufwand hat sich gelohnt. Im Zeitgeist der Inklusion und der Forderung nach zunehmender Klientenzentrierung wurden mit Hilfe der nutzergesteuerten Evaluation Klienten in die Gestaltung von Angeboten integriert. Und das mit großer Begeisterung und reger Teilnahme von Seiten der Klienten. Es ist ein Interesse da, die Ihnen zukommenden Hilfen mitzugestalten und bei Verbesserungsprozessen mitzuwirken. Das stand am Ende für uns fest. Doch nicht nur die Klienten mussten sich mit den von ihnen genutzten Angeboten auseinandersetzen, auch die Kollegen aus den einzelnen Arbeitsbereichen des SMT haben sich mit großem Interesse den Ergebnissen der Befragung gewidmet. Das SMT möchte verstärkt seine Angebote an der Realität und den Bedürfnissen der Klienten orientieren und hat mit dem Projekt einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung unternommen. Es war beeindruckend, wie viel Energie Klienten bereit waren, trotz diverser gesundheitlicher  Beeinträchtigungen für dafür aufzubringen. Und bei unseren Projekt-Teilnehmern trat so manche Stärke zu Tage, mit der sie zuvor selbst gar nicht gerechnet haben. Wir durften die wertvolle Erfahrung machen, dass anspruchsvolle Projektarbeit mit Klienten möglich ist und für zunehmende Zufriedenheit auf vielen Eben sorgen kann.

 

Ausblick

 

Was folgt nun, nachdem das Neuland der nutzergesteuerten Evaluation erstmalig erkundet worden ist? Die Neugier ist geweckt. Die Perspektive auf die alltägliche Arbeit wurde erweitert. Das weitverbreitete Bild der starren Dienstleistung und deren Nutzer ist gelockert. Von beiden Seiten sind das Interesse und die Motivation da, die Idee weiterzuverfolgen, dass Angebote auch in Zukunft zeitgemäß und bedarfsgerecht ausgestaltet werden. Welchen Einfluss das Projekt auf die Ausgestaltung der Angebote und die Zufriedenheit der Klienten gehabt hat, wird die Zukunft zeigen und das in 2-4 Jahren geplante nächste Evaluationsprojekt. Wir sind alle jetzt schon gespannt, welche Ergebnisse das zukünftige E-Team zu Tage bringen wird!